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Erfahrungsbericht: Bekämpfung von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt unter Flüchtlingen

© UNHCR

Ein Interview mit Gina Bylang, SGBV-/Kinderschutzbeauftragte des UNHCR (entsandt durch das SKH).

 

«Frauen können besser kochen als Männer», meint der junge südsudanesische Flüchtling auf die Frage nach Gender-Vorstellungen in seiner Gemeinschaft. Bevor ich etwas dazu sagen kann, dreht sich ein Oberhaupt der Flüchtlingsgemeinschaft in seinen Fünfzigern zu dem jungen Mann um und meint: «Das ist das, was wir Südsudanesen glauben, aber es stimmt nicht. Die besten Köche in den führenden Restaurants weltweit sind fast immer Männer.» Die meisten Flüchtlinge, die vor mir sitzen, machen erstaunte Gesichter – und sogleich löst die Bemerkung des Gemeinschaftsoberen eine lebhafte Diskussion über Geschlechterrollen und Stereotype unter den Flüchtlingen aus.

Die Diskussion findet im Flüchtlingslager Meri im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo (DRC) statt, wo rund 22'000 Vertriebene aus dem Südsudan vor dem andauernden Konflikt in ihrer Heimat Zuflucht gefunden haben. Die Gruppe von 34 Flüchtlingen, die an einer Schulung zum Thema sexuelle und genderspezifische Gewalt (Sexual and Gender-Based Violence, SGBV) teilnehmen, setzt sich zusammen aus dem gewählten Präsidenten der Flüchtlinge, seinem Vizepräsidenten, traditionellen Stammesführern, Gemeinschaftsoberen und Kontaktpersonen, die auf ehrenamtlicher Basis mit den im Lager tätigen humanitären Organisationen zusammenarbeiten. Ziel der Schulung ist die Vertiefung der Kenntnisse der 9 Frauen und 25 Männer über SGBV, damit diese eine aktive Rolle bei der Verhütung und Bekämpfung von SGBV in ihrer Gemeinschaft spielen können.

Diese Schulung ist ein Teil meiner Arbeit als SGBV- und Kinderschutzbeauftragte des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) in der Demokratischen Republik Kongo. Ich bin Mitglied des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH), einem Milizkorps von rund 700 Personen, die nach Bedarf eingesetzt werden können, um die humanitären Projekte der Schweiz im Ausland durchzuführen und UNO-Organisationen zu unterstützen. Die Mitglieder des SKH werden entsprechend ihren Kenntnissen und Fähigkeiten in Fachgruppen eingeteilt. Ich gehöre zur Fachgruppe «Schutz». Die Expertinnen und Experten der Fachgruppe «Schutz» werden in UNO-Organisationen wie das UNHCR entsandt und sind in verschiedenen spezifischen Bereichen tätig: Schutz von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, SGBV, Kinderschutz, Berücksichtigung der Schutzgrundsätze bei sämtlichen humanitären Einsätzen, Koordination und anwaltschaftliches Engagement. Die letzten drei Monate habe ich damit verbracht, das UNHCR-Personal, die Umsetzungspartner, Flüchtlingskomitees, SGBV-Kontaktpersonen und die lokalen Behörden zu unterstützen und beim Kapazitätsaufbau zu begleiten. Ausserdem habe ich mich dafür eingesetzt, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren zu stärken, die Datenerhebung und -analyse im Bereich SGBV zu verbessern und gemeinsam mit Partnerorganisationen sicherzustellen, dass die SGBV-Betroffenen Zugang zu der Unterstützung haben, die sie benötigen.

Die Demokratische Republik Kongo beherbergt derzeit fast 80'000 Flüchtlinge aus dem Südsudan, darunter 62 Prozent Kinder. Die Mehrzahl der Flüchtlinge ist bei lokalen Familien untergekommen, aber rund 30'000 Personen leben in Flüchtlingslagern in den Provinzen Haut-Uele, Bas-Uele und Ituri. SGBV, besonders Vergewaltigungen, sind ein grosses Problem in der Demokratischen Republik Kongo und im Südsudan. Diese werden gelegentlich als Kriegswaffe eingesetzt. Häufiger aber widerspiegeln sie eine generelle Akzeptanz bezüglich traditioneller patriarchaler Normen und Bräuche, die sexuellen Missbrauch und die Ungleichheit von Frau und Mann rechtfertigen. Frauenfeindliche traditionelle Praktiken wie Kinderehen und gängige Absprachen bei Vergewaltigungen (z.B. die Bezahlung einer Ziege durch den Täter an die Familie des Opfers oder die Zwangsverheiratung des Opfers mit dem Täter) sind ebenfalls weit verbreitet. Dazu kommt, dass die Täter aufgrund der mangelnden Rechtsverfolgung häufig straffrei ausgehen. Diese Faktoren führen zusammen mit der Angst vor Vergeltung und der Stigmatisierung und Diskriminierung, denen die Überlebenden in ihrer Gemeinschaft ausgesetzt sind, in vielen Fällen dazu, dass Fälle von SGBV nicht gemeldet werden. Die meisten Opfer von SGBV sind Frauen und Mädchen. Es ist aber wichtig festzuhalten, dass auch Männer und Knaben Opfer sein können, und sie sind oft in höherem Masse Scham und Stigmatisierung ausgesetzt, was sie daran hindert, Hilfe zu suchen.

Die genannten Probleme betreffen aber nicht nur die Demokratische Republik Kongo und den Südsudan. SGBV und geschlechtsspezifische Ungleichheit sind ein verbreitetes Problem in allen Teilen der Welt. Dies bewog die Schweiz, die Förderung der Geschlechtergleichstellung und der Frauenrechte, einschliesslich Schutz vor SGBV, als neues strategisches Ziel in ihre Botschaft über die internationale Zusammenarbeit 2017–2020 einzubeziehen. Die Entsendung von SGBV-Expertinnen und Experten an UNO-Organisationen ist eines der Instrumente, die das EDA einsetzt, um auf dieses strategische Ziel hinzuarbeiten.

Obschon die Arbeit im Bereich SGBV aufgrund kultureller Faktoren und der Herausforderungen des Umfelds mitunter frustrierend sein kann, spüre ich oft eine grosse Dankbarkeit, diese Tätigkeit ausüben zu dürfen. Zum Beispiel als ich kürzlich mit einem jungen Mann sprach, der als SGBV-Focal-Point in einem der Flüchtlingslager tätig ist. Auf die Frage, weshalb er diese ehrenamtliche Arbeit leiste, antwortete er: «Mein Volk hat genug Gewalt erlitten. Ich möchte in meiner Gemeinschaft und in unserer Aufnahmegemeinschaft ein friedliches und respektvolles Umfeld schaffen, damit wir uns alle sicher fühlen können.» Aussagen wie diese und die eingangs erwähnte Diskussion zeigen, dass es in jeder Gemeinschaft Menschen gibt, die sich für positive Veränderungen einsetzen.