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FOGO – Zusammenleben 2.0

©AOZ

Spannende, neue Zusammenarbeit und Zusammenleben in Zürich: FOGO verbindet Flüchtlinge und Studierende in einem neuen Arbeitsraum für Kultur und Gewerbe.

Es tut sich viel im Westen Zürichs. Rund um den Vulkanplatz am Bahnhof Altstetten ist ein neuer, urbaner Lebensraum am Entstehen. Die treibende Kraft der Quartierentwicklung geht dabei von einem innovativen Zwischennutzungsprojekt namens FOGO aus. FOGO verbindet die temporäre Unterbringung von Geflüchteten mit Wohnraum für Studierende und Arbeitsraum für Kultur und Gewerbe. Es ermöglicht dadurch neue Formen der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens.  

Den Anfang nahm alles mit einer Trias an Zufälligkeiten. Die städtische Stiftung Einfach Wohnen, die 2013 mit dem Ziel gegründet wurde, bezahlbare und ökologische Wohn- und Gewerberäume zu schaffen, suchte für die Verwirklichung ihrer Idee ein Grundstück. Die Zürcher Asylorganisation AOZ sah sich zur gleichen Zeit gezwungen, ihre erste temporäre Wohnsiedlung in Zürich Leut­schenbach an einen anderen Ort zu transferieren, da die dortige Arealnutzung 2018 endete. Sie suchte dafür ebenfalls ein Grund­stück. Dritter im Bunde war das Jugendwohnnetz Juwo, das sich um zusätzliche, preisgünstige Mietwohnungen für Studierende bemühte. Entstanden ist aus dieser zufälligen Interessengemeinschaft das innovative Projekt FOGO, das nicht nur Wohnungen für wirtschaftlich schwä­chere Haushalte zur Verfügung stellt, sondern darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zu einem Miteinander von verschiedenen Be­völkerungskreisen – Geflüchtete und junge Erwachsene in Ausbildung, Fahrende, deren Standplatz an das Areal angrenzt, aber auch von Personen aus dem Quartier – leistet.  

Studierende und Asylsuchende leben fortan unter einem Dach und formieren eine Wohngemeinschaft. Das Zusammenführen dieser zwei Wohnparteien bietet sich an: Für beide ist es schwierig, in Zürich bezahl­baren Wohnraum zu finden. Auch ist die Wohnsituation beider Grup­pen kurzlebig. Studierende ziehen häufig nach einigen Semestern, spätestens nach dem Abschluss, um. Je nach Aufenthaltsstatus beziehen Geflüchtete früher oder später eine eigene Wohnung. Auch unterliegt der Asylbereich stets Schwankun­gen bei der Nachfrage nach Wohnraum. Falls der Bedarf bei der AOZ tem­porär zurückgeht, kann das Juwo die leer­stehenden Wohnungen übernehmen. Die gemeinsame Nutzung bringt eine wertvolle Flexibilität.  

FOGO ist aber nicht nur ein Wohnort, sondern auch ein Arbeits- und Inspirationsort für innovative Gastronomie, Kleingewerbe, Kultur und Bildung. Es bietet Raum für Menschen unterschiedlicher Herkunft, in unterschiedlicher Lebenssituation, mit unterschiedlicher Zukunftsperspektive. Sie alle bilden FOGO, eine Stück Stadt in der Stadt, und kreieren gemeinsam diesen dynamischen Ort der Begegnung und Innovation.  

Wohnen im Sinne der Integration neu gestalten

Zusammenleben 2.0 – in der Stadt Zürich wird eine neue asylpolitische Ära eingeläutet. FOGO steht für eine neue Version der Flüchtlingsunterbringung in der Schweiz und verweist auf eine Asylpolitik, die Geflüchtete sowohl in den öffentlichen Raum wie auch in die Zivilgesellschaft miteinbezieht. Die Integration von anerkannten Flüchtlingen, vorläufig aufgenommenen aber auch asylsuchenden Personen soll gemäss Integrationsagenda 2019 intensiviert werden. Ein Aspekt gilt der Förderung des Kontaktes zur lokalen Bevölkerung. Denn für eine gelungene Integration braucht es Nähe zur Aufnahmegesellschaft. Integration könne an einem abgesonderten Ort nicht stattfinden, konstatiert Thomas Kunz, Geschäftsleiter der AOZ. Die Lage der Unterkunft bestimme zu einem wesentlichen Teil den Integrationsverlauf. Geflüchtete Menschen müssen sichtbar sein, um von der Gesellschaft wahr- und aufgenommen werden zu können. Kontakt und Interaktion sind die Grundpfeiler einer jeden Gemeinschaftsbildung und somit Voraussetzung, dass ein Ankommen in und Vertrautwerden mit der fremden Gesellschaft überhaupt stattfinden kann.

Auch weist Thomas Kunz auf die Mehrdimensionalität des Lebens hin – Arbeit, Wohnen, Freizeit –, die im Integrationsprozess zum Tragen kommt. Zusammenleben 2.0 bedeutet für ihn ebendiese Vielfalt an Kontaktmöglichkeiten in unterschiedlichen Lebensbereichen, die sich nun auf einem Areal ergeben und FOGO hierdurch zu einem einzigartigen inkludierenden Raum machen.  

Eigendynamik der Vergemeinschaftung

Entspricht nun aber das neue Wir, das auf FOGO am Entstehen ist, dem Wir, welches sich Geflüchtete auf der Suche nach einem neuen Zuhause wünschen? Der Ethnologe Georg Elwert weist darauf hin, dass Zuwandernde während des Integrationsprozesses oftmals ethnische Kommunen als Referenz- und Identifikationsrahmen bevorzugen. So beschränken sich Beziehungen in der ersten Phase des Einlebens auf Personen derselben ethnischen Herkunft. Diese Verbindungen vermögen offenbar ein Stück Heimat in der fremden Welt zu schaffen, was für die Bewältigung von Unsicherheit und Stress im Zuge der Migration äusserst hilfreich sein kann. Der totale Rückzug in die ethnische Kommune birgt jedoch die Gefahr, die Mehrheitsgesellschaft als Interaktionsgruppe zu verlieren.

FOGO schafft Raum für verschiedene Formen eines Wir. Die lokale Bevölkerung aus dem Quartier ist ebenso präsent wie die internationale Mitarbeiterschaft der benachbarten Grosskonzerne, Asylsuchende derselben Herkunft gleichermassen wie Studierende aus dem In- und Ausland. FOGO beherbergt keine spezifischen Kollektive, sondern Individuen mit teils vergleichbaren, teils unterschiedlichen Lebensgeschichten, Vorstellungen und Bedürfnissen. Menschen begegnen sich hier und gehen aufeinander zu. Oder auch nicht. Diese Freiheit und Ungezwungenheit in der Wahl der Sozialbezüge erachtet Thomas Kunz als ein wesentliches Merkmal von FOGO. Hier soll keine Gemeinschaft konstruiert und endgültig definiert werden. «Wir wollen nicht soziokulturell animieren», lautet sein Vorhaben dazu. Es sind Merkmale wie Vielfalt, Offenheit, Wandel und Eigendynamik, die das Areal kennzeichnen und ihm eine besondere Atmosphäre verleihen – die der Normalität. FOGO soll ein normales Alltagsleben ermöglichen und keine künstliche Insel bilden. «Es ist wie eine normale WG hier», beschreibt ein junger Student kurz nach dem Einzug seine Wohnsituation und bestätigt hiermit, dass die Vision der AOZ lebt.  

Der Artikel wurde von Sabine Binelli im Auftrag der Eidgenössischen Migrationskommission EKM für die Zeitschrift zu Integration und Migration «terra cognita» geschrieben.