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Hilfe für Vertriebene in Kolumbien

© UNHCR

In den letzten Jahren sind über 1,5 Mio. Venezolaner nach Kolumbien geflohen, wodurch die ohnehin schon angespannten Ressourcen des Landes enorm unter Druck geraten sind.

Das UNHCR und die Schweiz haben ihre Kräfte gebündelt, um die kolumbianische Regierung bei der Verbesserung der Situation zu unterstützen. David Winiger, Mitglied des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe, ist derzeit als Feldkoordinator beim UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR im kolumbianischen Cali im Einsatz. Er erzählt von seiner Arbeit in einem Land, wo der Anteil von Flüchtlingen und Migranten aus Venezuela in weniger als vier Jahren um schwindelerregende 4000 Prozent angestiegen ist.

Welches sind Ihre Aufgaben als Feldkoordinator?

Ich bin für vier Departemente im Südwesten Kolumbiens zuständig. Meine Stelle wurde geschaffen, um den Restrukturierungsprozess des UNHCR in der Region zu begleiten und die Massnahmen zur Unterstützung der venezolanischen Flüchtlinge und der kolumbianischen Binnenvertriebenen zu verbessern. Konkret helfe ich der Aussenstelle, eine gemeinsame Strategie und einen gemeinsamen Plan zum Schutz von Flüchtlingen und Vertriebenen für die verschiedenen Feld- und Zweigstellen in der Region auszuarbeiten. Zudem unterstütze ich die behördenübergreifende Koordination und evaluiere Projekte und Partner.

Können Sie uns einen Überblick über die Lage der Flüchtlinge und Migranten in Kolumbien geben?

Der Strom von Flüchtlingen und Migranten aus Venezuela ist eine grosse Belastung für Kolumbien. Ende 2015 gab es weniger als 40 000 Venezolanerinnen und Venezolaner in Kolumbien. Heute sind es 1,6 Millionen, das heisst 40-mal mehr. Kolumbien ist auch ein Transitland: 2019 durchquerten fast 500 000 Flüchtlinge und Migranten das Land auf ihrem Weg nach Ecuador. Ausserdem sind bis Mitte 2019 rund 500 000 kolumbianische Staatsangehörige aus Venezuela zurückgekehrt. Hinter jeder dieser Zahlen steht ein Mensch mit seiner Geschichte und Tragödie.

Welche Auswirkungen haben die verschiedenen Wanderungsbewegungen auf Kolumbien?

Sie haben beträchtliche Auswirkungen. Historisch gesehen gab es in Kolumbien nur wenige Flüchtlinge und Migranten. Die lokalen Gemeinschaften sind nur begrenzt in der Lage, den seit 2018 anhaltenden Zustrom aus Venezuela zu bewältigen. Die Flüchtlinge und Migranten lassen sich meistens in Gemeinschaften nieder, die bereits mit strukturellen wirtschaftlichen Herausforderungen und wiederkehrenden Naturkatastrophen konfrontiert sind. Durch die Neuankömmlinge erhöht sich der Druck auf die beschränkten Ressourcen und Dienstleistungen.

Wie geht die Regierung damit um?

Bisher relativ gut. Während andere Länder der Region Einreisebeschränkungen für Flüchtlinge und Migranten einführten, sind die kolumbianischen Grenzen für Venezolanerinnen und Venezolaner nach wie vor offen. Sie werden nicht in Lagern untergebracht, sondern leben in Städten oder in Siedlungen am Stadtrand. Wer arbeiten darf, geht einer Beschäftigung nach. Viele sind in der informellen Wirtschaft tätig. Die Kinder können die Schule besuchen, und die öffentlichen Spitäler bieten eine kostenlose Notversorgung unabhängig vom Migrationsstatus. Die Flüchtlinge belasten die Ressourcen des Landes jedoch stark. Viele Kolumbianerinnen und Kolumbianer befürchten, dass die jüngsten Neuankömmlinge, die stärker auf Hilfe angewiesen sind, die soziale Stabilität beeinträchtigen könnten. Verletzliche Flüchtlinge, einschliesslich Kinder, werden von Banden in die Sex- oder Zwangsarbeit rekrutiert oder verschleppt. Dies gefährdet die Fortschritte, die Kolumbien seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Regierung und den FARC erzielt hat.

Wie steht es mit den Kolumbianerinnen und Kolumbianern, die aus Venezuela zurückgekehrt sind?

Sie benötigen Hilfe und Unterstützung bei der Wiedereingliederung in neue Gemeinschaften und bei der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten. Die Regierung und die humanitären Akteure einschliesslich des UNO-Flüchtlingshilfswerks müssen bei ihrem Engagement die Bedürfnisse von Flüchtlingen, Vertriebenen und Rückkehrern, aber auch diejenigen der Aufnahmegemeinschaften berücksichtigen. Aus diesem Grund verfügt das UNHCR über eine gemischte Operation in Kolumbien.

Sie sind in Cali stationiert. Wie sieht dort die Situation der Flüchtlinge und Migranten aus Venezuela aus?

Die meisten Venezolanerinnen und Venezolaner befinden sich in städtischen Gebieten wie Cali. Sie leben in informellen Siedlungen, auf der Strasse oder in überfüllten Wohnungen ohne minimale Sicherheits- und Hygienestandards. Es gibt sehr wenige Unterkünfte für Flüchtlinge und Migranten und noch weniger für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Vor allem jetzt in der Ferienzeit laufen die auf der Strasse lebenden Venezolanerinnen und Venezolaner Gefahr, von der Polizei vertrieben zu werden, weil die Behörden die Stadt für die Touristinnen und Touristen «verschönern» wollen.

Welche Herausforderungen gibt es zu bewältigen?

Die Herausforderungen werden im Jahr 2020 wohl noch zunehmen, weil mit mehr Flüchtlingen und Migranten zu rechnen ist, die zudem in einer schlechteren Verfassung ankommen, und weil der Druck auf die Grundversorgung und die Kapazitäten zur Bewältigung des Zustroms weiter steigt. Die Einreisebeschränkungen der anderen Länder der Region werden sich auf die Zahl der Personen auf Durchreise und derjenigen auswirken, die in Kolumbien bleiben wollen. Bis Ende 2020 werden Schätzungen zufolge 2,4 Millionen Flüchtlinge und Migranten aus Venezuela mit Ziel Kolumbien kommen und weitere 400 000 das Land durchqueren.

Kann Kolumbien diese Herausforderungen bewältigen?

Kolumbien hat Migranten und Flüchtlinge aufgenommen und den Zustrom mit lokalen Ressourcen bewältigt. Das Land verfügt jedoch schlicht nicht über die notwendigen Kapazitäten, um mit viel mehr Neuankömmlingen fertig zu werden. Das Sozialsystem und die lokale Bevölkerung, von denen viele Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen haben, stossen an ihre Grenzen. Ohne zusätzliche internationale Hilfe könnte die Krise zu weiteren sozialen Spannungen führen.

Klicken Sie auf die Links, um mehr über das Engagement des UNHCR in Kolumbien und die Hilfsmassnahmen der Schweiz zu erfahren.